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Bundesärztekammer (Hrsg.):
PLACEBO IN DER MEDIZIN
Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2011. 193 S., € 29,95
ISBN 978-3-7691-3491-9

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Ein seit jeher kontrovers diskutiertes Phänomen: der medizinische Begriff Placebo (vom lat.: placebo = ich werde gefallen), uralt, wie die nachfolgende Empfehlung aus der Antike beweist, auf vielen Ebenen verwendet (also nicht nur medizinisch), oft auch negativ konnotiert, auf jeden Fall ein „Allerwelts-Terminus“: Wer im Internet sucht, kommt – je nach Schreibweise – auf mehr als sechs Millionen Treffer. Außerdem glaubt fast jeder zu wissen, was man darunter versteht (um beim näheren Nachfragen dann aber letztlich passen zu müssen). Auch in der Medizin wird „Placebo“ eher negativ eingeordnet, nicht gerade als „Betrug am Patienten“, doch der andere Pol des Meinungsbildes ist auch nicht so positiv, wie es dieser therapeutischen Strategie eigentlich zukommt (Stichwort: „Droge Arzt“, sprich: Der Arzt als Heilmittel mit eigener Wirkung).

„…zu dem Mittel aber noch ein Spruch gehöre, und das, wenn jemand diesen spreche, beim Gebrauch von jenem das Mittel durchaus gesund mache; ohne den Spruch aber sei das Blatt nichts nütze“ (Platon: Charmides). Oder kurz: Positiv erläutert wirkt es doppelt (alte Hausarzt-Erkenntnis).

In der Tat liegt hier vieles im Argen: Zum einen wird mit Placebo so manches in Verbindung gebracht, was im strengen wissenschaftlichen Wortgebrauch gar nicht darunter fällt (z. B. statistische Behandlungs-Effekte, natürlicher Krankheitsverlauf). Zum anderen werden die nun schon seit Jahrtausenden(!) alten Erfahrungen in unserer Zeit und Gesellschaft irgendwie nicht akzeptiert, manchmal gar nicht zur Kenntnis genommen. Dabei haben die letzten Jahrzehnte in der experimentellen Placebo-Forschung geradezu bahnbrechende Erkenntnisse gebracht.

Glücklicherweise scheint sich hier ein Umdenken anzubahnen; schließlich geht es um die Wirkungs-Verstärkung unerlässlicher Behandlungs-Maßnahmen – genutzt oder vergeben. Denn placebo-gestützt kann man nicht nur im Rahmen der zutreffenden Therapiemaßnahme Schmerzen lindern, sondern auch Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, ja depressive Verstimmungen u. a. Hier muss sich also in Ärztekreisen etwas tun, um nicht mögliche Behandlungs-Vorteile durch Unkenntnis, Skepsis oder ethisch bzw. rechtlich motivierte Ablehnung zu untergraben.

Um nun die Ärzteschaft auf die modernen Erkenntnisse einer sich dynamisch entwickelnden Placebo-Forschung aufmerksam zu machen und entsprechende Therapie-Optimierungen anzuregen, hat der Vorstand der Bundesärztekammer den Wissenschaftlichen Beirat damit beauftragt, einen entsprechenden Arbeitskreis einzurichten. Nach zwei Jahren intensiver Tätigkeit durch eine interdisziplinär zusammengesetzte Experten-Gruppe liegt nun eine umfassende Stellungnahme vor. Dabei muss nicht nur auf die – wie gesagt: jahrtausende-alte – Behandlungsvorteile verwiesen werden, es sind insbesondere ethische Bedenken auszuräumen und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu erläutern. Dies gilt vor allem für die Sondergruppe der Nicht-Einwilligungsfähigen, worüber es in der Fachliteratur bisher wenig zu lesen gibt.

In dem jetzt erschienenen Fachbuch Placebo in der Medizin, herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats im Deutschen Ärzte-Verlag, wird ausführlich auf die unterschiedlichen Formen von Placebos eingegangen, die Wirkungsmechanismen beschrieben und natürlich die Arzt-Patient-Interaktion im so genannten „therapeutischen Setting“ diskutiert.

So erstreckt sich der Inhalt von Definitionen (man merke: es geht um mehrere), Begrifflichkeiten, Abgrenzungen, der Geschichte des Placebos, den verschiedenen Formen und Mechanismen (z. B. neurobiologisch) über die Bedeutung des Placebos für die Evidenz-basierte Medizin bis hin zu ethischen und rechtlichen Aspekten. Und natürlich die Bedeutung der Arzt-Position im Arzt-Patient-Verhältnis, einschließlich wirtschaftlicher, zeitlicher, geschlechtlicher, soziokultureller und kommunikativer Aspekte. Am Schluss eine hilfreiche Zusammenfassung mit alten und neuen Perspektiven. Und ein Glossar mit den inzwischen unersetzlichen, aber meist nicht (sofort) präsenten Fachbegriffen.

Eine solide Fleiß-Arbeit von fast zwei Dutzend Experten: längst überfällig, jetzt aber in empfehlenswerter (und dazu noch preiswerter) Form verfügbar (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).